Prokrastination: Was steckt dahinter?
Jeder prokrastiniert hin und wieder, oder? Warum ist das dann für manche Menschen ein solches Problem? Um diese Fragen zu beantworten, schauen wir uns jetzt an, was Prokrastination wirklich ist (und was nicht), wer am häufigsten betroffen ist, was die Ursachen sind und wie es sich auf unsere Gesundheit auswirkt.
Ich prokrastiniere nie. Ja, wirklich! War mir bisher aber auch nicht klar. Bis eben dachte ich, meine Prokrastination wäre eines meiner größten Probleme. Aber laut wissenschaftlicher Definition ist es erst Prokrastination, wenn man irrational Dinge aufschiebt, obwohl man um die negativen Konsequenzen weiß. Und zum letzten Teil lasse ich es nie kommen. Ich schiebe nie so weit auf, dass Konsequenzen wie ein Jobverlust oder ähnliches drohen. Ich bin also nicht von Prokrastination betroffen, sondern allenfalls von Aufschieberei.
Die beiden Dinge werden oft synonym benutzt, aber streng genommen, sind sie nicht dasselbe. Von Prokrastination reden wir, wenn wir Dinge aufschieben, von denen wir wissen, dass wir sie machen sollten. Auch dann noch, wenn besagte Konsequenzen drohen. Und vor allem reden wir von Prokrastination, wenn wir dadurch einen Leidensdruck haben. Prokrastination ist allein zwar kein Krankheitsbild, aber es kann und wird psychologisch behandelt. An Universitäten gibt es zum Beispiel Prokrastinationsambulanzen für Studierende.
Was ist Prokrastination (nicht)?
Um genau zu verstehen, was Prokrastination ist, hilft es vielleicht, sich anzusehen, was es nicht ist:
Aufschieben: Machen wir alle. Immer wieder. Und aufschieben kann sogar sinnvoll sein. Es gibt offenbar Experimente, die nahe legen, dass wir kreativer denken, wenn wir zwischen der Erteilung und der Erledigung einer Aufgabe eine Pause einlegen. Davon erzählt jedenfalls Dr. Julia Fischer in einem Video von ARD Gesund. Aufschieben ist auch dann sinnvoll, wenn andere Aufgaben wichtiger oder dringender sind oder uns Informationen fehlen, um die Aufgabe schnell und effizient zu erledigen.
Paralysen: Nicht anfangen können, weil man festhängt. Das hat auch nicht unbedingt etwas mit Prokrastination zu tun. Erstens ist das keine Entscheidung und zweitens dauert das in der Regel nicht so lange an, dass wirklich ernste Konsequenzen drohen. Paralysen können aber einen Kreislauf auslösen, der zu Prokrastination führen kann: Du hängst so lange in der Paralyse fest, dass die Angst einsetzt, dass du die Aufgabe in der verbleibenden Zeit nicht mehr gut (genug) erledigen kannst. Und diese Angst kann so groß werden, dass du die Aufgabe aus Angst immer weiter aufschiebst.
Auf den letzten Drücker: Wer von sich behauptet, unter Druck am besten zu arbeiten, setzt sich vermutlich auf Dauer unter zu viel Stress und wird damit früher oder später baden gehen. Vor allem, wenn das (zu) späte Anfangen und die Unfähigkeit, den Aufwand für eine Aufgabe richtig einzuschätzen, zusammen kommen. Aber es ist keine Prokrastination. Du schiebst die Aufgabe ja nicht irrational vor dir her und nimmst negative Konsequenzen in Kauf. Vielmehr entscheidest du dich bewusst dafür, sehr spät mit der Aufgabe zu beginnen – in der Hoffnung, so optimale Ergebnisse zu erzielen.
Warum prokrastinieren wir?
Prokrastination kann sehr viele Ursachen haben und oft kommen mehrere zusammen. Grob können wir dabei vier Kategorien beobachten:
- Schlechtes Zeitmanagement: Du prokrastinierst, weil du nicht weißt, wo du anfangen sollst. Du kannst keine Prioritäten setzen, Aufwand nicht einschätzen und hast keinen Überblick, was eigentlich wann ansteht.
- Exekutive Dysfunktion: Du prokrastinierst, weil dein Gehirn nicht mitmacht. Du kannst dich nicht gut konzentrieren, lässt dich leicht ablenken und hast Probleme, dich an deinen Plan zu halten, wenn du einen erstellst.
- Emotionale Ursachen: Du prokrastinierst, weil du überwältigt bist. Die Aufgabe überfordert dich, du leidest unter Perfektionismus oder hast Angst, nicht gut genug zu sein oder zu versagen.
- Psychische Störungen: Prokrastination ist nicht dein Problem, sondern nur ein Symptom. Sie kann zum Beispiel als Begleiterscheinung bei Depressionen, Angststörungen und ADHS auftreten.
Neurotransmitter, Gene und Gehirnstruktur als Ursache für Prokrastination
Bisher sind sich Experten einig, dass Prokrastination viel mit erlerntem Verhalten zu tun hat. Wenn du in der Schule gut damit durchgekommen bist, in der Nacht vor einer Klausur per Druckbetankung zu lernen, wirst du dich auch im Studium nicht an einen 6-wöchigen Lernplan halten (können). Und wenn du nie gelernt hast, dich selbst zu organisieren, kannst du nicht erwarten, dass das jetzt, wo es zwischen Kindern, Job und Nebenjob nötig wird, plötzlich funktioniert.
Das ist aber eine gute Nachricht, denn was du gelernt hast, kannst du auch wieder verlernen und du kannst jederzeit Neues lernen!
Inzwischen gibt es aber wohl Hinweise darauf, dass Prokrastination auch biologische bzw. genetische Ursachen haben kann. So weist eine Studie der Ruhr-Uni Bochum offenbar daraufhin, dass Menschen, die oft aufschieben, eine vergrößerte Amygdala haben. Das ist der Teil im Gehirn, der zum Beispiel für deine Angst- und Stressreaktionen verantwortlich ist. Ob nun aber die Amygdala vergrößert ist, weil du so oft aufschiebst und deshalb permanent unter Stress stehst oder ob du prokrastinierst, weil die Amygdala vergrößert ist, weiß niemand.
Eine andere Studie der Ruhr-Uni Bochum und der TU Dresden weist daraufhin, dass unsere Gene eine Rolle beim Prokrastinieren spielen können. Genauer gesagt, das Tyroxinhydroxilase-Gen, das dafür verantwortlich ist, wie viel Dopamin so standardmäßig durch unser Gehirn schwimmt. Die Erkenntnis dieser Untersuchung: Menschen mit viel Dopmanin prokrastinieren häufiger. Nicht ganz unlogisch, finde ich, denn immerhin macht uns Dopamin unter anderem anfälliger für Ablenkungen. Aber interessanterweise trat dieses Ergebnis nur bei den weiblichen Teilnehmern der Studie auf. Eine mögliche Erklärung: Östrogen macht Frauen „anfälliger“ für unterschiedliche Dopaminspiegel.
Das ist vor allem deshalb spannend, weil bisher alle Forschung davon ausgeht, dass die behandlungsbedürftige Form der Prokrastination vor allem Männer betrifft.
Wer prokrastiniert am meisten?
In einer schon etwas älteren Studie der Universität Mainz haben die Forscher untersucht, wer am meisten prokrastiniert und welche Auswirkungen das auf die Gesundheit hat. Demnach prokrastinieren die jüngsten Teilnehmer der Studie, also die 14- bis 29-Jährigen, am häufigsten. Und in dieser Kohorte sind Männer deutlich häufiger betroffen. Interessanterweise gibt es diesen Geschlechterunterschied aber offenbar tatsächlich nur in dieser Altersgruppe.
Welche Auswirkungen hat Prokrastination?
Nicht überraschend sind die Erkenntnisse zu den Folgen der Prokrastination. Demnach haben Menschen, die auf eine Weise prokrastinieren, die behandelt werden sollte, häufiger zu tun mit:
- Depressionen
- Angststörungen
- Erschöpfung
- Stress
Außerdem gaben Betroffene an, weniger zufrieden zu sein mit Lebensbereichen wie Arbeit und Einkommen. Aber auch fehlende Partnerschaften und Arbeitslosigkeit können demnach mit der Prokrastination in Verbindung gebracht werden.
Selbst-Test
Wenn du dir jetzt unsicher bist, ob du wirklich ein Problem hast, gibt es online einen Selbsttest der Uni Münster. Hier kannst du prüfen, ob dein Aufschieben kritisch ist und du etwas dagegen unternehmen solltest. Achtung: Neben der Prokrastination kann der Selbsttest auch genutzt werden, um nach Hinweisen für Depressionen oder ADHS zu suchen.
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[…] Prokrastination, also die Aufschieberei, die droht, dein Leben zu ruinieren, kannst du nicht allein besiegen. Wenn du also immer wieder […]