Morgenstund, früher Vogel: Finde deine Morgenroutine

Eine Morgenroutine macht angeblich gesünder, glücklicher, gebildeter, entspannter, produktiver, schöner, wohlhabender und belastbarer. Wenn du mich fragst, macht sie vor allem eins: müder. Mich käst dieser blöde Hype an. Und trotzdem habe ich seit einigen Wochen eine Morgenroutine. Warum verrate ich dir hier.

Ich hasse Routinen. Vielleicht spürte ich deshalb von Anfang an eine spontane Abneigung, als der Hype um die viel beschworene Morgenroutine begann. Ich liebe aber Neues. Und deshalb habe ich mich dann eben doch damit beschäftigt. Und es war wie immer: Die erste Begeisterung riss mich mit. Ich wollte unbedingt auch so eine coole Morgenroutine! Allerdings: Für die Morgenroutine, die ich hätte haben wollen, hätte ich den halben Tag gebraucht.

Ich wollte (mal wieder) viel zu viel

Ich las von Menschen, die jeden Tag um 5.30 Uhr joggen gehen und diese Zeit für sich allein an der frischen, unverbrauchten Luft in einem frischen, unverbrauchten Körper für frische, unverbrauchte Ideen nutzten. Nun ja, an mir ist um 5.30 Uhr überhaupt nicht frisch und unverbraucht. Klang in meiner Fantasie trotzdem toll. Also vielleicht nicht um 5.30 Uhr, aber Sport vor der Arbeit, fit und motiviert in den Tag starten – das schien ein guter Plan.

Dann las ich weiter: von Menschen, die jeden Morgen (nach dem Sport) eine Stunde lasen, aber keine Schmonzette wie ich, sondern ein Sachbuch. Weiterbildung und so. Oh ja, ich will auch gebildet sein und dass ich Sachbücher immer nur kaufe, aber so gut wie nie zu Ende lese, nervt mich schon lange. Das muss also auch in meine Morgenroutine.

Und dann? Las ich weiter – von Menschen, die jeden Morgen (nach dem Laufen und dem Lesen) eine frische, bunte Bowl und einen Bullet Proof Kaffee zum Frühstück genießen, um ihren Körper zu nähren und mit 80 noch wie 35 auszusehen. Ich hab kurz darüber nachgedacht und dann festgestellt, dass ich den Gedanken an Butter im Kaffee eklig finde und zu faul bin, um so eitel zu sein. Doch die Quelle an Morgenroutine-Ratgeber-Artikeln versiegte nicht. Ich war also noch lange nicht nicht fertig mit meiner Wunsch-Morgenroutine. Ich las von Meditation, frischer Luft, Putzen (ja, klingt absurd, erkläre ich dir gleich), ein Buch schreiben, Tagebuch schreiben, Podcast hören (natürlich auch zur Weiterbildung).

Morgenroutine mit 155 Minuten 😯

Am Ende meiner Recherche sah meine Traum-Morgenroutine also so aus:

  1. Sport (30 Minuten, dauert mit Duschen und Fertigmachen aber auch 1 Stunde)
  2. 20 Minuten spazieren gehen, um frische Luft zu tanken (es sei denn, der Sport fand schon draußen statt)
  3. Frühstücken und dabei ein Sachbuch lesen (weitere 20 Minuten)
  4. An meinem Buch schreiben (20 Minuten schreiben, 10 zum Reinkommen)
  5. 20 Minuten Haushalt machen (damit ich es hinter mir habe, denn abends kann ich mich dazu fast nie aufraffen, also belastet das immer das Wochenende)
  6. 5 Minuten meditieren

Damit hätte meine Morgen(!)routine also sagenhafte 155 Minuten gedauert. In Stunden: knapp über zweieinhalb Stunden. Selbst wenn ich mich für meine Verhältnisse wirklich früh, also so gegen 7 Uhr, aus dem Bett kriege und im Homeoffice arbeite, mir also den Arbeitsweg spare, säße ich damit frühestens um 9.30 Uhr am Schreibtisch (wäre aber schon wieder bereit für eine Pause, weil ich so viel gearbeitet hätte).

Die Alternative wäre gewesen, deutlich früher aufzustehen – wobei ich damit wieder voll im Trend gewesen wäre, denn wer Morgenroutine sagt, redet oft im selben Atemzug vom sogenannten 5-a.m.-Club, sehr grob übersetzt: dem Club der Frühaufsteher. Die These dahinter: Nur wer früh aufsteht, kann wirklich erfolgreich sein. Selbst wenn ich das glauben würde (tue ich nicht), wäre das keine Option. Ich werde abends einfach nicht früh genug müde, um so früh ausgeschlafen und fit zu sein.

Damit war das kurze Intermezzo der Morgenroutine für mich eigentlich schon wieder erledigt. Ich hab es immer mal wieder mit einzelnen Elementen meiner Wunschliste probiert, aber so richtig funktionierte das für mich alles nicht. Erst Recht nicht längere Zeit hintereinander (langweilig!). Also gab es morgens nur eine Routine: den Snooze-Button.

Das war aber irgendwie auch blöd, vor allem, weil der Start in den Tag damit in der Regel alles andere als entspannt verlief.

Wie findest du deine richtige Morgenroutine?

Also alles noch mal auf Anfang. Statt zu recherchieren, was andere (erfolgreiche) Menschen in ihre Morgenroutine packen, habe ich diesmal überlegt, was ich mit einer Morgenroutine eigentlich erreichen will. Eigenartigerweise hatte ich mir diese Frage bei keinem einzigen früheren Versuch gestellt. Die Antwort war simpel, aber bahnbrechend: Ich will nur entspannter und gut gelaunt in den Tag starten. Bahnbrechend war das deshalb, weil diese Antwort auf einen Schlag die Hälfte der Aktivitäten von der alten Liste gestrichen hat.

Sport? Oh bitte! Früh aufstehen, Höchstleistungen, wenn mein Körper eigentlich noch im Delirium ist, zusätzliche Zeit für den Weg zur Laufstrecke oder das Auf- und Abbauen von Sportmatte und Co. in meinem Arbeitszimmer. Das hätte alles Mögliche bewirkt, aber sicher keine gute Laune. Dasselbe mit dem Schreiben. Ja, ich möchte ein Buch schreiben. Schon seit ich ungefähr 25 Jahren. Aber wenn ich im Schreiben bin, will ich nicht abbrechen müssen, weil ich zur Arbeit muss. Und ich komme auch nicht auf den Glockenschlag in den Schreibmodus. Für die Morgenroutine war das viel zu viel Druck, einfach nicht der passende Rahmen. Haushalt? Wir erinnern uns: Ich wollte mit der Morgenroutine gute Laune erzeugen. Kein weiteres Wort nötig, oder? Meditation? Ist mir einfach nicht wichtig genug, um es mit einzubauen.

Ich wusste jetzt also, was ich erreichen wollte und was dem abträglich ist. Jetzt war die letzte Frage: Was fällt mir noch ein, dass mich entspannt und mir gute Laune macht? Gab es da noch Dinge, die ich in die Morgenroutine aufnehmen sollte oder wollte?

Die wichtigsten Punkt, um deine Morgenroutine zu kreieren:

Sie muss zu dir (und nur zu dir) passen. Lass dich nicht von anderen beeinflussen. Stell dir folgende Fragen, um die richtige Routine für dich zu finden:

  1. Was stört mich im Moment am meisten an meinem Start in den Tag?
  2. Wie würde ich mich morgens gern fühlen?
  3. Was würde ich morgens gern machen?
  4. Was möchte ich morgen nicht (mehr) machen?
  5. Wie viel Zeit kann ich für eine Morgenroutine (realistisch!) aufwenden?
  6. Was ist nötig, damit ich die Routine täglich einhalte?
  7. Wie kann ich meine Familie einbinden? (Musst du früher aufstehen, damit die Kinder deine Zeit nicht torpedieren? Kannst du die Kinder vielleicht in die Routine einbinden, sie auch dafür begeistern? Kannst du mit deinem Partner vereinbaren, dass er die Kinder morgens übernimmt? Wollt ihr vielleicht sogar in einem Familienrat eine gemeinsame Morgenroutine entwickeln? Es gibt immer eine Lösung. Wenn du eine Morgenroutine möchtest, verzichte nicht in vorauseilendem Gehorsam, weil du glaubst, das ginge eh nicht. Nur redenden Menschen kann geholfen werden. Das gilt auch für Partnerinnen und Mütter.)

Wirf die Flinte nicht ins Korn, wenn der erste Anlauf nicht besonders praxistauglich ist. Du erkennst ja an meiner Geschichte, dass Fantasie und Realität manchmal sehr brutal auf einander prallen können. Justiere deine Morgenroutine einfach immer wieder nach. Nimm Dinge weg oder dazu oder pass sie an.

So sieht meine neue Morgenroutine aus

Im Ergebnis dieser Fragen (und ohne eine einzige weitere Morgenroutine anderer Menschen zu lesen) entstand also meine neue Morgenroutine:

  1. Ich gönne mir Zeit für den Snooze-Button (der bei mir ein lautloser Vibrationsalarm meiner Uhr ist, damit der Lieblingsmann weiterschlafen kann), denn ehrlich, ich liebe es, langsam aufzuwachen und den Zustand zwischen Schlafen und Wachen zu genießen. Dafür stelle ich mir die Uhr ein bisschen früher als nötig (aber nicht vor 7 Uhr).
  2. Ich frühstücke! Dieser Teil hat mich selbst überrascht, denn so lange ich mich zurückerinnern kann, habe ich das Frühstück gehasst, war einfach nicht hungrig. Doch erstaunlicherweise tut es mir extrem gut. Vor allem, wenn ich etwas Warmes essen (aktuelle Favoriten: Grießbrei mit Zimt oder Porridge mit, na ja, Zimt (könnte das nach einer Sucht klingen? 😉).
  3. Beim frühstücken lese ich. Der Teil ist nicht überraschen, weil ich einfach immer lese, überall und bei jeder möglichen Tätigkeit – auch beim Laufen. (Hat mich ein paar Jahre gekostet, zu lernen, die Laternenmasten aus dem Augenwinkel rechtzeitig wahrzunehmen). Überraschend war allerdings, dass ich tatsächlich meist in einem Sachbuch lese. Meistens nur ein paar Seiten, aber das macht Spaß und ich bin sehr stolz auf mich.
  4. Ich gehe eine kurze Runde um den Block, wenn ich im Homeoffice bin oder laufe ins Büro (das zum Glück nur 2 km entfernt ist), denn frische Luft und Tageslicht sind für mich momentan die besten Wach- und Glücklichmacher (auch das war früher anders).

Je nachdem, wie sehr ich die einzelnen Punkte ausdehne, kostet mich diese Morgenroutine zwischen 45 und 60 Minuten.

Klappt das immer? Natürlich nicht! Manchmal bin ich einfach zu faul (oder zu schlecht gelaunt). Manchmal habe ich einfach viel zu wenig geschlafen. Manchmal ist das Wetter zu eklig. Manchmal… Aber wenn das so ist, fällt die Routine eben ganz oder teilweise aus. Denn, nicht vergessen: Sie soll für Entspannung und gute Laune sorgen. Kann sie das nicht, hat sie an diesem Tag eben keinen Platz.

Durch diese Einstellung ist der Druck raus. Gleichzeitig spüre ich an Tagen, an denen ich sie nicht geschafft habe, sehr deutlich, dass mir die Routine fehlt (Gott, ich brauche ein anderes Wort für Routine! Bei dem Satz „Ich spüre, dass mir die Routine fehlt“ schüttelt es mich.). So komme ich am Tag darauf automatisch wieder auf sie zurück.

Wie sieht das bei dir aus? Hast du eine Morgenroutine? Oder vielleicht eine Abendroutine? Wie sieht sie aus? Und hilft sie dir? Was hat sich verändert, seit du ihr folgst? Ich bin gespannt auf deine Erfahrungen und freue mich wie immer sehr über deinen Kommentar.