ADHS-Diagnostik: Mein Eichhörnchen-Gehirn und ich

ADHS-Diagnostik: Mein Eichhörnchen-Gehirn und ich

Ich habe ADHS. Das ist jetzt amtlich. Und auch wenn ich mir dessen schon länger sehr sicher war, war die Anspannung während der Diagnostik doch groß. Vor allem, weil sich die über mehrere Monate zog. Und weil ihr auf Instagram und in Mails immer wieder danach fragt, wie das bei mir konkret abgelaufen ist, fasse ich meine Erfahrungen hier zusammen.

Ich muss so 13 oder 14 gewesen sein, als ich einen Termin bei einer Kinderpsychologin hatte und  eine Hausaufgabe aus der Schule erledigen sollte. In einem großen, leeren Raum. Ganz allein. Ohne Ablenkung. Während ich gefilmt wurde. Ich habe eine Analyse der „Leiden des jungen Werther“ geschrieben – eines der schrecklichsten Bücher aller Zeiten übrigens. Pathetisch, langweilig, melodramatisch auf die schlechteste Art. Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus. Ich erinnere mich an das Gespräch danach, bei dem die Psychologin meinen Eltern erklärte, man könne keine eindeutige Diagnose stellen, weil ich während des Test Kaugummi gekaut hätte. In meiner Erinnerung ging es schon damals um eine ADHS-Diagnostik. Und da würde der Kaugummi-Hinweis Sinn machen, denn das geht wohl als Stimming durch. Und Stimming ist ein Mechanismus, um das Gehirn zu stimulieren, also die ADHS-typische Ablenkbarkeit und Unkonzentriertheit zu unterdrücken.

Doch wie weit ich meiner Erinnerung trauen kann, weiß ich nicht, denn meine Mutter erinnert sich zum Beispiel an keinen derartigen Termin, wohl aber an Termine bei der Neurologin, weil ich schon mit 12 die ersten Migräneattacken und dann Dauerkopfschmerzen hatte.

Deshalb blieb ein letzter Restzweifel, als ich vor einem Vierteljahr endlich mit der Diagnostik für ADHS im Erwachsenenalter begann. Und dieser Restzweifel, zusammen mit den vielen „Du bist doch erfolgreich und hast dein Leben auf der Reihe. Du kannst gar kein ADHS haben“-Reaktionen haben mich auf eine emotionale Achterbahnfahrt geschickt. Bis zum 23. Februar 2024.

Ja, ich habe ADHS

Mein Auswertungsgespräch, nach einem Vierteljahr Diagnostik, fand an diesem Tag statt. Und nach 45 Minuten war klar: Ja, mein Gefühl stimmt. Ich habe ADHS und zwar den gemischten Typ.

Ich bin also nicht nur unaufmerksam-verträumt, sondern auch hyperaktiv. Nur zeigt sich meine Hyperaktivität nicht in einem hohen Bewegungsdrang, sondern ist eher verbaler Natur. Soll ich heißen: Ich rede viel, schnell, oft und lange. Als Kind hatte ich übrigens schon den Spitznamen „Schnatterinchen.“ Auch meine sehr stark ausgeprägte Impulsivität (ohne die es die Zeitplanerin nicht gäbe) gehört übrigens zur Kategorie „Hyperaktivität“.

Diagnostik bei Erwachsenen

Bis zu dieser Gewissheit hat es bei mir vier Termine gebraucht. Aber Achtung: Wie die Diagnostik, gerade bei Erwachsenen, abläuft, ist nicht genormt. Ich habe mich an einer psychiatrischen Ambulanz an einem Klinikum testen lassen, die eine spezielle ADHS-Sprechstunde haben.

Grundsätzlich dürfen aber auch niedergelassene Psychiater, Neurologen und Psychotherapeuten die Testung durchführen. Einige von euch haben das dort gemacht und mir von ihren Erfahrungen geschrieben. Ganz grob scheint es so, als wären die Tests in den Spezialambulanzen umfangreicher. Aber das kann auch einfach nur ein subjektiver Eindruck sein. Ich will damit nur sagen: Dass hier ist nur meine Erfahrung. Das heißt nicht, dass die Diagnostik immer so abläuft  und es heißt auch nicht, dass deine besser oder schlechter ist, wenn sie anders war.

Was aber wohl leider fast überall gleich ist: die Wartezeit. Ich habe fast ein Jahr auf meinen Termin gewartet. Viele Kliniken haben Wartelisten, die ewig lang sind. Manche führen deshalb schon gar keine Wartelisten mehr. Niedergelassene Diagnostiker gibt es kaum, weil das Verfahren so aufwendig ist – oder man muss die Testung selbst zahlen (hätte hier 450 Euro gekostet). Und häufig kommt man nicht mal schneller an einen Termin, wenn man bereit ist, weite Wege in Kauf zu nehmen, weil offenbar viele Kliniken nur Patienten aus ihrem direkten Einzugsgebiet aufnehmen.

Medizinische Diagnostik

Nach fast einem Jahr begann meine Diagnostik dann mit einem Termin beim Psychiater der Ambulanz. Dafür musste ich vorher bei meinem Hausarzt ein EKG machen und Blut abnehmen lassen. Vor allem die Schilddrüsenwerte waren wichtig. Dieser erste Termin sollte erstmal nur abklären, ob es vielleicht organische Ursachen für meine ADHS-Symptome gibt bzw. ob eine ADHS überhaupt plausibel ist. Hier habe ich das erste Mal gehört: „Das klingt alles schon sehr danach!“ und das fühlte sich für mich so unfassbar befreiend an. Ich hatte das Gefühl, dass endlich jemand meinen Verdacht wirklich ernst nimmt.

Ich hatte dieses positive Gefühl übrigens während des gesamten Diagnose-Prozesses und bin dafür sehr dankbar, denn ich habe auch schon von ganz anderen Erfahrungen gelesen.

Nachdem also klar war, dass die Symptome zu einer ADHS passen und körperlich nichts für eine andere Erkrankung spricht, ging es in die tatsächliche Testung. Die wurde bei mir in drei separaten Terminen von immer derselben Psychologin durchgeführt.

Anamnese und Differentialdiagnostik

Im ersten Termin haben wir die Anamnese gemacht. Es ging also darum, wie sich die ADHS derzeit zeigt. Hier ging es meinem Gefühl nach am detailliertesten zu. Wie ich im Nachgang erfahren habe, war das der Teil, indem andere psychologische Erkrankungen wie Depressionen, Borderline, Autismus, Angst- und Zwangsstörungen usw. ausgeschlossen werden sollten. Wir haben hier auch kurz Kindheitserfahrungen  angerissen und ich habe gefühlte 30 Fragebögen bekommen.

Fragebögen

Diese Fragebögen sind ein Standard in der Diagnostik und werden so oder so ähnlich wohl überall genutzt. Ich hatte vier verschiedene: zwei zur Selbstauskunft – einmal für heute und einmal für meine Kindheit. Und zwei für Bezugspersonen – ebenfalls einmal für heute und einmal für meine Kindheit.

Diese Fragebögen habe ich ausgefüllt zum zweiten Termin wieder mitgebracht und in der Auswertung erfahren, dass ich hier sehr hohe Werte habe (ab 15 spricht man von hohen ADHS-Werten, ich hatte stellenweise 38). Jetzt könnte man sich freuen, weil je höher, desto eindeutiger, nicht wahr? Tatsächlich hat das aber eher für Vorsicht bei der Diagnose gesorgt. So hohe Werte sind nämlich fast immer ein Indiz dafür, dass sich jemand sehr, sehr intensiv mit ADHS, Symptomen, Ausprägungen und der Diagnostik auseinander gesetzt hat (stimmt) und das kann natürlich das Bild verzerren.

Computertest Aufmerksamkeit

Um mehr Objektivität zu gewinnen, bestand Termin Nummer zwei aus Computertests, mit denen die Aufmerksamkeit geprüft werden sollte. Sogenannte Klicktest. Man musste also immer klicken, wenn eine bestimmte Bedingung erfüllt war – mal war das ein bestimmtes Muster, das zu sehen war, mal ein bestimmtes Geräusch usw.. Insgesamt habe ich nacheinander 5 oder 6 Tests absolviert, von denen vor allem der zur Langzeitaufmerksamkeit (extrem langweilig, gleichförmig, langsam und lang) höllisch anstrengend war.

Erfahrungen in der Kindheit

Im letzten Termin vor dem Auswertungsgespräch ging es dann vorrangig um meine Kindheit. Um ADHS im Erwachsenenalter diagnostiziert zu bekommen, müssen die Symptome vor dem 12. Lebensjahr vorgelegen haben. Denn ADHS gilt als Entwicklungsstörung, die sich zwar ins Erwachsenenalter ziehen, aber nicht erst im ausgewachsenen Gehirn entstehen kann.

Termin zur Auswertung und ADHS-Diagnose

In der Auswertung sind wir alle Termine durchgegangen, ebenso wie die Ergebnisse der Fragebögen und auch die Schulzeugnisse, die ich vorab einreichen musste, wurden analysiert. Die waren bei mir nur leider nicht sehr hilfreich. Ich war immer gut in der Schule und bin auch gern hingegangen. Es gab zwar kleinere Hinweise auf ADHS wie „Sie könnte die Lernziele noch besser erreichen, wenn sie weniger quatschen würde/sorgfältiger arbeiten würde/ordentlicher wäre“, aber eindeutig war das alles nicht.

Unsere Theorie (die der Psychologin, die mich gefragt, ob ich da mitgehen würde) ist aber, dass die Schule für mich ein Instrument war, um Anerkennung zu bekommen. Mein Wissensdrang verhinderte zu große Langeweile und die schnellen Erfolgserlebnisse, die ich damit schon früh hatte, haben Schule nicht zu einem Problem, sondern eher zu einer Bewältigungsstrategie gemacht.

Auch heute äußern sich meine Symptome in meinem Privatleben viel schlimmer als im Job. Das passt also alles zusammen.

Und wie geht es jetzt weiter?

Von der Klinik bekomme ich in den nächsten Woche einen mehrseitigen Diagnosebericht zugeschickt, auf den ich wirklich gespannt in. Und dann werde ich versuchen, die empfohlene Kombi-Therapie anzukurbeln. Die besteht zum Einen aus Medikamenten, zum Anderen aus Verhaltenstherapie. Ich glaube nicht, dass ich täglich Medikamente nehmen muss oder will, denn für viele Symptome habe ich ja inzwischen Strategien entwickelt und Tools gebaut. Aber an Tagen wie morgen, an denen ich von 9:30 Uhr bis 13:30 Uhr durchgehend, ohne Pause, in Meetings sitze, würde ich mich über medikamentöse  Hilfe echt freuen, denn das ist mein Endgegner.

Meine Diagnostik bestand also aus:

  • medizinischer Abklärung bzw. Differentialdiagnostik
  • Anamnese und psychologischer Differentialdiagnostik (Gespräche und Fragebögen)
  • Aufmerksamkeitstests am Computer
  • Kindheitsbetrachtung (Gespräche und Fragebögen und Zeugnisse)

Mancherorts wird offenbar auch ein IQ-Test gemacht, um zum Beispiel auch Hochbegabung auszuschließen. Das scheint aber bei Erwachsener seltener zum Prozedere zu gehören als bei Kindern. Mich hat man zwar danach gefragt, ob ich schon mal einen gemacht hätte, damit war das Thema aber auch erledigt.

Deine Erfahrungen mit ADHS?

Was ich mir jetzt am meisten wünsche, ist mehr Austausch mit anderen Eichhörnchen-Gehirnen. Nächste Woche besuche ich deshalb zum ersten Mal einen Online-Stammtisch bzw. eine Online-Selbsthilfegruppe. Aber ich würde mich riesig freuen, wenn du mir auch von deinen Erfahrungen mit der Diagnostik und deinen Bewältigungsstrategien für den Alltag erzählst, wenn du selbst ADHS hast. Schreib mir gern per Mail oder auf Instagram.

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