Gewohnheiten aufbauen – und beibehalten

Gewohnheiten aufbauen – und beibehalten

Wir alle haben Gewohnheiten! Auch, wenn du ein Eichhörnchen-Gehirn hast oder super individualistisch lebst. Du kannst nicht anders. Denn dein Gehirn baut automatisch Gewohnheiten auf, um Energie zu sparen. Aber wie können wir dafür sorgen, dass wir die Routinen aufbauen (und beibehalten), die uns wichtig sind – und nicht die unerwünschten? Das schauen wir uns jetzt zusammen an.

Ich war lange Zeit überzeugt, dass ich keine festen Gewohnheiten habe. Ich stehe nicht zu einer bestimmten Zeit auf und gehe ganz sicher nicht zur immer selben Zeit schlafen. Ich habe keine Sportroutine – obwohl ich mir echt Mühe gegeben habe, eine aufzubauen.

Und sogar die Sache mit dem Zähneputzen, die Experten immer wieder als Beweis zitieren, dass wir alle bestimmten Gewohnheiten folgen, ist bei mir kein Automatismus. Stattdessen kämpfen Hirni und Couchi zweimal täglich in mir darum, wer sich durchsetzt: Hirni, meine Vernunft, die weiß, dass regelmäßiges Zähneputzen wichtig ist oder Couchi, meine Bequemlichkeit, die findet, dass die elektrische Zahnbürste viel zu laut ist und das alles viel zu lange dauert und viel zu langweilig ist.

Aber Wendy Wood, schreibt in ihrem Buch „Good Habits, Bad Habits”, dass 43 % aller Handlungen Gewohnheiten sind. Und sie muss es wissen. Immerhin hat sie viele der Studien, die es heute zur Gewohnheitsbildung gibt, selbst begleitet.

Was sind Gewohnheiten?

Gewohnheiten sind Handlungen, die wir oft wiederholen und zwar immer im gleichen Kontext und mit dem Ziel, dafür belohnt zu werden. Unser Gewohnheit-Ich löst eine Handlung aus, bevor wir überhaupt darüber nachdenken können. Unser bewusstes Ich dagegen braucht dafür viel länger, weil es erstmal abwägt. Das eine ist ein Automatismus, das andere eine Entscheidung. Stellt sich heraus: Nach dieser Definition habe ich eine Menge Gewohnheiten, also Dinge, für die ich mich nicht bewusst entscheide. Aber leider finde ich nur sehr wenige davon gut.

„Letztlich sind Gewohnheiten eine Art mentale Abkürzung, die wir nehmen, um noch mal belohnt zu werden“, schreibt Wendy Wood in ihrem Buch. Denn Gewohnheiten bestehen immer aus diesen drei Teilen: Kontext, Belohnung und Wiederholung. Und was wiederhole ich so in meinem Leben? Essen, shoppen und prokrastinieren. Ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Aber diese drei Dinge sind leider tatsächlich Gewohnheiten, von denen ich bisher nicht mal wusste, dass es welche sind. Aber das sind alles Handlung, die direkt eine Belohnung mitbringen. Weil ich damit unbehagliche Gefühle vermeiden oder sogar (wenn auch nur kurz) schöne Gefühle auslösen kann.

Wissen und Wollen hilft nicht, Gewohnheiten aufzubauen

Wenn ich also offensichtlich doch in der Lage bin, Gewohnheiten zu folgen: Wie sorge ich jetzt dafür, dass es die richtigen werden? Dazu hat Wendy Wood erstmal eine schlechte Nachricht: Wissen ändert an deinen Gewohnheiten rein gar nichts.

Sie zitiert zum Beispiel Studien, die beobachtet haben, wie sich Anti-Zigaretten-Kampagnen oder Kampagnen für gesündere Ernährung ausgewirkt haben. Stellte sich heraus: Hinterher wusste der Großteil der Befragten zwar mehr über die gesundheitlichen Vorteile, aber sie haben trotzdem weiter geraucht und Pizza, Chips und Cola zu sich genommen.

Und warum? Weil das ihre Gewohnheit war! Gewohnheiten werden im prozeduralen Gedächtnis gespeichert und was darin gespeichert ist, kann durch Wissen nicht geändert werden.

Das ist deprimierend, war aber irgendwie auch tröstlich, denn wie lange versuche ich schon abzunehmen? Theoretisch weiß ich auch genau, wie es geht, war aber in meinem ganzen Leben nur einmal erfolgreich: Als mein Morbus Crohn eine so heftige Entzündung im Darm ausgelöst hat, dass ich nicht mal Wasser trinken konnte, ohne mich hinterher vor Schmerzen zu krümmen. Das ist also keine valide Strategie, die ich wiederholen will.

Kontext löst Gewohnheiten aus

Was also tun? „Vergeben Sie sich als erstes selbst und fangen Sie damit an, Ihr Leben zu vereinfachen, indem Sie sich die Kontexte ansehen, in denen Sie leben“, schreibt Wendy Wood.

Als Kontext gilt dabei alles, was deine Gewohnheit auslöst. Das kann eine bestimmte Tageszeit sein – etwa, wenn du immer nach Feierabend eine Runde um den Block drehst. Aber das können auch andere Menschen sein – zum Beispiel, wenn du immer Kuchen isst, wenn du dich mit deiner besten Freundin triffst. Und auch deine Umgebung ist ein Kontext – etwa wenn du in der Ecke deines Arbeitszimmers gut sichtbar die Gitarre aufstellst und deshalb auch regelmäßig übst.

Wenn du „Die 1% Methode“ von James Clear gelesen hast, kommt dir das bekannt vor. Er schreibt von Auslösereizen statt Kontexten. Gemeint ist aber dasselbe.

Interessant ist: Kontext ist viel wichtiger als Willenskraft, wenn es um Gewohnheitsbildung geht.

Willst du eine Routine aufbauen oder ändern, musst du dich anfangs „zwingen“, sie regelmäßig zu wiederholen. Die meisten Menschen versuchen das mit Willenskraft. Die ist aber begrenzt und unzuverlässig. Viel effektiver wäre es, deine Umgebung so zu verändern, dass die gewünschte Handlung einfach wird.

Auch das kennst du eventuell von James Clear und seinem berühmten Beispiel: Wenn du morgens Sport machen willst, leg dir die Sportmatte vor den Schreibtisch, so dass du erst arbeiten kannst, wenn du sie weggeräumt hast. Die Wahrscheinlichkeit, dass du sie wegräumst, OHNE vorher wenigstens kurz zu trainieren, ist sehr gering.

Verändere den Kontext, um die Gewohnheit zu ruinieren

Wenn du eine winzige Kleinigkeit in deinem Kontext veränderst, kann das deine gesamte Gewohnheit vernichten. Wenn sich der Kontext verändert, setzt nämlich das bewusste Denken ein. Die Handlung kann nicht mehr automatisch ablaufen, sondern du musst entscheiden, was du tun willst.

Bei guten Gewohnheiten ist das mitunter tödlich. Wenn du es zum Beispiel gewohnt bist, dich Mittwochabend mit einer Freundin zur Zumba-Stunde im Fitnessstudio zu treffen, wirst du jeden Mittwochabend automatisch deine Tasche packen und zum Studio fahren. Wenn nun aber die Freundin plötzlich krank ist, entfällt ein Teil des Kontext. Und plötzlich fängt dein Hirn an, abzuwägen, was dafür spricht, allein zu gehen – und was dafür spricht, die Stunde heute ausfallen zu lassen.

Aber: Diesen Mechanismus kannst du dir auch zu Nutze machen!

Verändere den Kontext, um Gewohnheiten zu verbessern

Wendy Wood erzählt zum Beispiel von einer Studie, in der die Teilnehmer an einem Tisch saßen, auf dem eine Schale Popcorn (glaube ich… irgendwas leckeres auf jeden Fall) stand. Solange sie die bequem erreichen konnten, aßen die Teilnehmer auch davon. In dem Moment, in dem die Schale ein kleines Stück außer Reichweite gestellt wurde, nahmen sie sich viel seltener von dem Popcorn.

Wenn du also den Kontext, der bisher eher ungewollte Gewohnheiten auslöst, veränderst, kannst du auch hier die Reiz-Reaktion-Kette unterbrechen. Das heißt nicht, dass du dann gar kein Popcorn mehr isst (das Zeug duftet ja immer noch lecker), aber du entscheidest dich dann dafür. Dabei ist die Chance deutlich größer, dass du dich eben auch immer wieder dagegen entscheidest.

Und wenn du gleichzeitig einen Kontext schaffst, der eine bessere Ersatzgewohnheit auslöst, kannst du mit der Zeit alte Routinen ersetzen. Aber Achtung: Du kannst sie wirklich nur ersetzen. Du kannst sie nicht ablegen, denn wie gesagt: Gewohnheiten lassen sich von Wissen und Wollen nicht manipulieren. Dafür laufen sie viel zu schnell und automatisch ab.

Doch um eine ungewollte durch eine gewollte Gewohnheit zu ersetzen, muss sich die neue für dein Gehirn nach einer Verbesserung anfühlen. Die Ideen, neben die Schokolade eine Obstteller zu stellen, wird also vermutlich nicht allzu erfolgreich sein, wenn du dir das Naschen abgewöhnen willst.

Ohne Belohnung keine Gewohnheit

„Kontext ebnet den Weg und Wiederholung bringt den Motor auf Touren, aber wenn Sie in diesem Prozess keine noch so kleine Belohnung für Ihre anfänglichen Anstrengungen erhalten, wird es nie dazu kommen, dass eine Gewohnheit von selbst funktioniert“, schreibt Wendy Wood.

Am besten funktionieren dabei unerwartete Belohnungen. Warum? Weil Belohnung die Dopaminausschüttung erhöht und besonders viel davon flutet unser Hirn, wenn wir nicht damit rechnen. Frag mich aber nicht, wie du dir selbst unerwartete Belohnungen basteln sollst. Das verrät das Buch nämlich nicht und mir ist dazu auch nichts eingefallen. Wenn du also eine Idee hast, schreib mir gern eine Mail!

Belohnungsaufschub funktioniert nicht

Zum Glück funktioniert Belohnung aber auch ohne den Überraschungseffekt. Damit sie wirklich dazu führt, dass aus der belohnten Handlung eine Gewohnheit wird, muss sie nur unmittelbar und bei jeder Wiederholung erfolgen. Das Dopamin, das bei der Bildung von Gewohnheitsverbindungen im Gehirn hilft, wirkt nämlich nur ungefähr eine Minute. Sich mit einer Massage zu belohnen, wenn man einen Monat lang dreimal pro Woche ins Fitnessstudio gegangen ist, bringt also gar nichts.

Das war übrigens eine Stelle im Buch, in der ich mich wieder sehr bestätigt fühlte. Belohnungsaufschub kann ich ja überhaupt nicht. Und jetzt muss ich das auch nicht mehr lernen, denn: Bringt ja eh nichts, um bessere Gewohnheiten aufzubauen.

Wiederholung kann selbst zur Belohnung werden

Am besten funktionieren Belohnungen, die der Handlung selbst innewohnen. Leider. Denn das ist exakt mein Problem: Essen schmeckt gut und löst positive Gefühle in mir aus. Zack, Belohnung! Und weil ich das schon mein Leben lang so mache, ist Essen, wann immer ich gestresst, traurig, wütend oder voller Selbstzweifel bin, eine Gewohnheit. Aber keine, an der ich jetzt unbedingt hänge. Das ist meinem Gewohnheitsgehirn aber egal. Wie gesagt: Wissen und Wollen spielt keine Rolle. Was Spaß macht, hilft bei der Gewohnheitsbildung.

Interessanterweise kann aber die Wiederholung selbst zur Belohnung werden. Wendy Wood verweist dabei auf all die 6-Jährigen dieser Welt, die ihre Eltern zwingen zum 230. Mal „Die Eiskönigin“ zu schauen. Und mit jeder Wiederholung mögen sie den Film ein bisschen mehr. Das ist der Mere-Exposure-Effekt: Wir mögen, was wir kennen und oft wiederholt haben. Das können wir nur ändern, wenn wir stattdessen etwas Neues oft wiederholen, das unser Gehirn als lohnender betrachtet.

Gewohnheiten funktionieren später ohne Belohnung

Was ich besonders spannend fand, ist übrigens, dass die Gewohnheit bleibt, auch wenn später die Belohnung wegfällt. Als ob unser Gehirn sich die Belohnung quasi dazu denkt, weil es die Handlung damit erlernt hat. Das funktioniert aber erst, wenn sie im Gewohnheitshirn angekommen ist, also automatisch abläuft, sobald der Kontext stimmt.

In der Phase, in der du die Gewohnheit aufbaust, also dich aktiv entscheiden musst, die Handlung im immer gleichen Kontext immer wieder zu wiederholen, geht ohne Belohnung gar nichts. Auch dazu gibt es zahlreiche Beispiele in „Good Habits, Bad Habits“.

Zum Beispiel zitiert Wendy Wood aus einer Studie, in der Studierende regelmäßig zum Sport gingen. Der Kontext war immer derselbe. Diejenigen, die den Sport mochten, also durch den Sport belohnt wurden, haben nach einer gewissen Zeit nicht mehr entschieden, zum Sport zu gehen, sondern sind automatisch gegangen, wenn der Kontext (Tag, Uhrzeit) stimmte.

Diejenigen, die den Sport nicht als lohnend empfanden und auch keine andere Belohnung etabliert hatten, haben auch nach vielen Wiederholungen keine Gewohnheit aufgebaut. Sie haben sich jedes einzelne Mal neu bewusst entscheiden müssen zum Sport zu gehen. Dass das über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt ist, ist einleuchtend, oder?

Strategien zur Gewohnheitsbildung

Lass uns also noch mal kurz zusammenfassen, was wir tun können, um endlich die Gewohnheiten aufzubauen, die wir gern in unserem Leben hätten:

  1. Nutze bestehende Routinen
    Verknüpfe neue Gewohnheiten mit bereits etablierten Verhaltensweisen. Möchtest du beispielsweise mehr Obst essen? Lege dir eine Banane neben die Kaffeemaschine, sodass du sie automatisch siehst, wenn du deinen morgendlichen Kaffee zubereitest.
  2. Gestalte deine Umgebung um
    Richte deine Umgebung so ein, dass sie deine gewünschten Gewohnheiten unterstützt. Wenn du mehr lesen möchtest, platziere Bücher an gut sichtbaren Stellen in deiner Wohnung. Möchtest du weniger Süßigkeiten essen? Verbanne sie aus deinem Sichtfeld.
  3. Starte klein
    Beginne mit kleinen, leicht umsetzbaren Schritten. Statt dir vorzunehmen, jeden Tag eine Stunde zu trainieren, fange mit fünf Minuten an. Die Wahrscheinlichkeit, dass du dabeibleibst, ist viel höher.
  4. Schaffe positive Assoziationen
    Verknüpfe die neue Gewohnheit mit etwas Angenehmem. Möchtest du mehr Sport machen? Such dir den aus, der dir am meisten Spaß macht, statt danach zu gehen, was die meisten Kalorien verbrennt. Denn du weißt ja jetzt: Ohne Belohnung keine Gewohnheit.
  5. Reduziere Hindernisse
    Identifiziere Faktoren, die dich von deiner gewünschten Gewohnheit abhalten könnten, und beseitige sie. Wenn du dich tagsüber oft beim Scrollen auf Social Media erwischst, installiere eine Software, die diese Apps nach einer bestimmten Zeitspanne sperrt.
  6. Sei geduldig
    Gewohnheiten brauchen Zeit, um sich zu festigen. Woods Forschung zeigt, dass es bei Sport und Ernährung zum Beispiel durchschnittlich 66 Wiederholungen dauert, bis eine neue Verhaltensweise zur Gewohnheit wird. Bleib dran, auch wenn es anfangs schwerfällt.

Gefahren für neue Gewohnheiten

Selbst wenn du erfolgreich eine neue Gewohnheit etabliert hast, gibt es Faktoren, die sie gefährden können:

  • Stress und Müdigkeit
    In Zeiten von Stress oder Erschöpfung fallen wir leicht in alte Verhaltensmuster zurück. Gewohnheiten haben dann eigentlich Hochkonjunktur. Das Gehirn ist zu erschöpft für aktive Entscheidungen, greift also auf Gewohnheiten zurück. Aber eben leider (auch) auf die ganz alten, die du eventuell gerade änderst. Sei in solchen Phasen also achtsam und versuche, deine neue Gewohnheit aufrechtzuerhalten, selbst wenn du sie vielleicht nicht in vollem Umfang ausführen kannst.
  • Veränderungen im Kontext
    Urlaub, ein Umzug oder ein neuer Job können etablierte Gewohnheiten durcheinanderbringen. Versuche in solchen Situationen, deine neue Gewohnheit an den veränderten Kontext anzupassen. Das kann auch bedeuten, dass du sie neu einüben musst, bevor sie wieder automatisch ablaufen.
  • Zu viele Veränderungen auf einmal
    Wenn du versuchst, zu viele neue Gewohnheiten gleichzeitig zu etablieren, kann das überwältigend sein. Konzentriere dich lieber auf eine oder zwei Veränderungen und festige diese, bevor du weitere hinzufügst.
  • Mangelnde Flexibilität
    Sei nicht zu streng mit dir selbst. Wenn du einmal von deiner neuen Gewohnheit abweichst, betrachte es als vorübergehenden Rückschlag, nicht als Scheitern. Wendy Wood zitiert dazu eine Studie, wonach die Teilnehmer ohne Weiteres hin und wieder einen Tag aussetzen konnte, ohne dass sich das negativ auf die Gewohnheitsbildung auswirkte. Du musst nur aufpassen, dass nicht das Aussetzen zur Gewohnheit wird.