Psychologische Reaktanz oder: Wie du dich selbst sabotierst – und endlich damit aufhörst
Reaktanz ist eine Art Trotzreaktion, wenn wir das Gefühl haben, jemand beschneidet unsere Freiheit. Das kann auch dein Selbstmanagement negativ beeinflussen. Wie du trotzdem in die Umsetzung kommst, erkläre ich dir hier.
Diesen Beitrag wollte ich schon vor über einem Jahr veröffentlichen. Da hatte ich zum ersten Mal von psychologischer Reaktanz gelesen, mich sofort wieder erkannt und gedacht: „Dazu MUSS ich sofort was schreiben!“ Und mit diesem Satz war das Ganze auch schon wieder vom Tisch. Warum? Na, wegen der psychologischen Reaktanz!
OK, damit du nicht ratlos ins Bett gehen musst, lass uns von vorn anfangen. Psychologische Reaktanz ist, wenn man es mal ganz unwissenschaftlich ausdrückt, die intellektuelle Umschreibung von Trotz. Stimmt natürlich nicht 100 %, wie das eben so ist, wenn man Dinge verkürzt und polemisiert, aber Trotz und Reaktanz sind mal zumindest Geschwister, vielleicht sogar Zwillinge. Zweieiig, aber doch Zwillinge…
Was ist psychologische Reaktanz?
Und bevor meine Metaphern jetzt endgültig in neue Tiefen abrutschen, hier die Wikipedia-Definition: „Psychologische Reaktanz ist die Motivation zur Wiederherstellung eingeengter oder eliminierter Freiheitsspielräume.“ Ja.. Bitte. Danke. Für nichts. Oder hast du das verstanden?
Also noch mal in meinen eigenen Worten: Wenn du das Gefühl hast, jemand will dir etwas verbieten (oder vorschreiben) und du reagierst innerlich mit einem „Jetzt erst recht!“ (oder „Jetzt erst recht nicht!“), dann ist das Reaktanz. Typisch ist dabei, dass die eine Sache, die dir jetzt genommen wird, plötzlich besonders wichtig erscheint.
Nehmen wir den Klassiker: Ein Teenager hängt nach der Schule ausschließlich vorm Computer rum. Aber wenn er oder sie jetzt plötzlich Hausarrest bekommt, wird die Freiheit, rausgehen zu können, auf einen Schlag ultrawichtig und das Verbot erscheint ultraunfair.
Reaktanz tritt ein, wenn wir das Gefühl haben, dass man uns die Wahlfreiheit nimmt. Die Reaktion liegt in der Regel in Aggression oder Abwertung. Wir versuchen also besonders heftig, die Freiheit zurückzugewinnen – wie der Teenager, der gegen den Hausarrest mit Türenschlagen, Geschrei und nächtliches Rausschleichen protestiert. Oder wir reden uns ein, dass das, was wir nicht mehr haben können, gar nicht so toll war. Zum Beispiel, wenn wir etwas kaufen wollten, das jetzt aber schon ausverkauft ist.
Psychologische Reaktanz gegen sich selbst
Was hat das Ganze jetzt mit diesem Blogpost zu tun?
Na ja, man kann Reaktanz dummerweise auch gegen sich selbst entwickeln. In dem Moment, in dem ich festlegte, dass ich jetzt unbedingt den Blogpost über psychologische Reaktanz schreiben muss, trat mein Kopf auf die Bremse und rief: „Moment mal, so nicht! Ich entscheide immer noch selbst, wann ich was mache!“ Klingt behämmert, ist es auch, ändert aber nichts daran, dass mir das regelmäßig meine Pläne verhagelt, weil es die Umsetzung verhindert.
Ich habe ein sehr, sehr hohes Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle. Deshalb reagiere ich schnell irrational und sehr stur, wenn ich das Gefühl habe, dass das jemand anknabbert – auch wenn ich das selbst bin.
Psychologische Reaktanz überwinden
Die Folge davon: Ich mache fantastische Pläne, torpediere mich aber selbst in der Umsetzung. Nun ist aber der beste Plan nichts wert, wenn darauf keine passende Handlung folgt. Aber da du diesen Beitrag gerade liest, habe ich es offenbar geschafft, meine Reaktanz zu überwinden. Und wenn du dasselbe Problem hast, kannst du das auch.
Bewusst rational entscheiden
Da du diesen Beitrag liest, ist der erste Schritt schon gemacht. Wenn dir bewusst ist, dass Reaktanz zu deinen Mustern gehört und du dich damit selbst sabotierst, kannst du das auch abschalten. Oder, wie Stefanie Stahl, die ich sehr bewundere, immer sagt: „Ertappen und umschalten!“
Wenn du dich also demnächst beim Prokrastinieren erwischst oder eine Aufgabe Widerstand in dir weckt, schau mal genauer auf den Grund. Steckt wirklich etwas dahinter oder bist du nur ein bisschen trotzig, weil du das Gefühl hast, man nimmt dir ein Stück Freiheit?
Ist Letzteres der Fall, kannst du dir die Wahlfreiheit zurückholen, indem du bewusst eine rationale Entscheidung triffst: Erledige ich das jetzt oder lasse ich es bleiben? Die Gewissheit, dass du allein das entscheidest, dir also niemand die Freiheit nimmt, gibt dir das Gefühl von Kontrolle zurück. Und das lässt den Widerstand oft schon erheblich schwinden.
Alternativoptionen suchen
Wenn die Reaktanz so stark ist, dass du dich partout nicht aufraffen kannst, such dir eine Alternative, die attraktiv genug ist, um dich anzutreiben. So habe ich es ein Jahr lang mit diesem Blogpost gemacht: Ich habe mir jede Menge andere Themen vorgenommen und über diese geschrieben.
Auf diese Weise habe ich trotz Reaktanz immerhin das Ziel erreicht, regelmäßig neuen Content zu veröffentlichen. Und irgendwann (also genau heute) war mir mein Trotz gegen dieses Thema selbst zu dumm und ich hab einfach mal angefangen.
Was mich direkt zum nächsten Tipp bringt:
Definier „anfangen“ als Ziel statt „fertig werden“
Ändere deine Zielsetzung. Oft empfinden wir uns erst dann als erfolgreich, wenn wir eine Aufgabe abgeschlossen haben. Stell dir vor, auf deiner To-Do-Liste steht seit Wochen die hier in diesem Blog viel zitierte Steuererklärung. Jetzt hast du es heute endlich geschafft, die Belege aus allen Schuhkartons, Ordnern und Manteltaschen zusammen zu kramen. Hast du das Gefühl, die Aufgabe erledigt zu haben? Ganz gewiss nicht!
Und warum nicht? Weil auf deiner To-Do-Liste stand „Steuererklärung erledigen“ und nicht „mit der Steuererklärung anfangen“ (oder noch besser, weil konkreter: „Steuerbelege für 2019 zusammensuchen“).
Zerleg die Aufgabe in Babysteps und nimm dir immer nur den nächsten, kleinen Schritt vor. Ist der erledigt, hast du gewonnen und kannst dich Dingen widmen, die mehr Spaß machen. Das Ziel lautet ab sofort „anfangen“ und nicht mehr „fertig werden“. Auf diese Weise wird dein innerer Widerstand kleiner und du kannst dich relativ leicht überwinden.
Übrigens, in meinem Fall brauchte ich vier nächste Schritte, bevor ich auch nur eine Zeile dieses Beitrags geschrieben habe: Psychologische Reaktanz recherchieren, Auswege aus der Reaktanz recherchieren, Struktur für Beitrag überlegen, alle anderen (spannenden) Blogideen umsetzen ?.
Informier dich über jedes Detail
Reaktanz wird auch ausgelöst, wenn wir das Gefühl haben, jemand bestimmt über uns. Denk zum Beispiel mal an Umstrukturierungen in deiner Firma: Wenn da neue Prozesse oder Tools eingeführt werden und die Mitarbeiter in diese Vorgänge nicht gut genug eingebunden werden, ist die Folge oft ein trotziges: „Warum soll ich das machen? Unsere Arbeitsweise ist wohl nicht mehr gut genug? Die halten sich wohl für was Besseres? Die werden schon sehen, was sie davon haben!“
In der Regel löst sich das in Wohlgefallen auf, wenn vor Einführung der Neuerungen die Mitarbeiter durch Befragungen, Arbeitsgruppen oder zumindest transparente, rechtzeitige und umfassende Information eingebunden werden.
Das kannst du dir zu Nutze machen, indem du selbst aktiv wirst: Hol dir jede Info ein, die du bekommen kannst. Warum sollst du diese Aufgabe machen? Weshalb sollst gerade du diese Aufgabe machen? Wieso sollst du sie genau so machen (oder ist das gar nicht vorgeschrieben und du hast es nur angenommen)? Wo gibt es Spielraum für dich, eigene Entscheidungen zu treffen?
Auch diese Informationsbeschaffung gibt dir ein Stück Kontrolle zurück. Und im besten Fall bringt es sogar noch ein paar unerwartete neue Freiheiten zu Tage, die dich zusätzlich mit der Aufgabe versöhnen.
Also, lass mich noch mal zusammenfassen: Reaktanz ist eine Art Trotzreaktion, wenn wir das Gefühl haben, jemand beschneidet unsere Freiheit. In der Regel reagieren wir dann aggressiv oder indem wir die Option abwerten, die man uns genommen hat. Wenn die Reaktanz verhindert, dass du Dinge umsetzt und Aufgaben erledigst, kannst du mit kleinen Schritten, Alternativoptionen, viel Information und bewusster Reflexion das Gefühl von Kontrolle zurückerobern und wieder ins Tun kommen.