Mythos Multitasking

Den GeschirrspĂŒler ausrĂ€umen und nebenbei telefonieren – kein Problem. Die PrĂ€sentation fĂŒr den Chef Korrektur lesen und nebenbei telefonieren – unmöglich. Wir können Multitasking, aber leider nicht bei den Aufgaben, bei denen wir es dringend brĂ€uchten. Warum dir Multitasking sehr wahrscheinlich nicht gut tut, wie du stattdessen vorgehen kannst und was Mikrotasking damit zu tun hat, erklĂ€re ich dir hier.

Können wir Multitasking?

Auf die Frage, ob der Mensch zu Multitasking in der Lage ist, gibt es nur eine richtige Antwort: Es kommt darauf an. NĂ€mlich auf die Definition des zweiten Wortteils, also „Task“ – Aufgabe.

Wenn wir von Multitasking reden, meinen wir damit normalerweise, dass wir zwei Aufgaben gleichzeitig erledigen und wir unterscheiden dabei nicht weiter, um welche Art von Aufgabe es sich handelt.

Möglicherweise steht heute also zum Beispiel auf deiner To-Do-Liste:

  • Arzttermin vereinbaren
  • GeschirrspĂŒler ausrĂ€umen
  • Hausaufgabenheft kontrollieren

Vielleicht lĂ€uft das bei dir dann so ab: Du rufst beim Arzt an. WĂ€hrend es klingelt, klemmst du dir das Telefon zwischen Ohr und Schulter und öffnest den GeschirrspĂŒler. Es klingelt immer noch. Warteschleife. Du legst das Hausaufgabenheft deines Kindes auf die KĂŒchenarbeitsflĂ€che und greifst nach einem Geschirrtuch. WĂ€hrend du das Besteck nachpolierst und in die Schublade legst, liest du die EintrĂ€ge. Bis die Arzthelferin ans Telefon geht und du eine Sekunde brauchst, um dich zu erinnern, was du von ihr eigentlich wolltest. Multitasking in Reinform, oder?

Was ist eigentlich Multitasking?

Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Nach der (einer) wissenschaftlichen Definition ist das kein Multitasking, weil deine Aufgaben nicht alle „Tasks“ sind. Der WDR zitierte dazu 2016 den Neurobiologen und Autor Henning Beck. Er sagt, die Neurowissenschaft definiere eine „Task“ als eine Aufgabe, die Aufmerksamkeit erfordere, ĂŒber die du also nachdenken, auf die du dich konzentrieren musst. DafĂŒr benutzen wir – grob gesagt – unser Großhirn (wĂ€hrend fĂŒr die automatischen, unterbewussten TĂ€tigkeiten das Kleinhirn zustĂ€ndig ist). Wollen wir nun zwei komplexe Großhirn-Aufgaben gleichzeitig ausfĂŒhren, ist das Gehirn ĂŒberfordert. „Multitasking ist schon anatomisch fĂŒr das Gehirn ein Ding der Unmöglichkeit. Da kann man noch so viel ĂŒben“, sagt Henning Beck.

Kleinhirn-Aufgaben oder eine Klein- und eine Großhirnaufgabe lassen sich dagegen problemlos kombinieren. Demnach könnte das Polieren des Bestecks und das Kontrollieren des Hausaufgabenheftes tatsĂ€chlich gleichzeitig ablaufen, aber weil das Polieren keine „Task“ im wissenschaftlichen Sinne ist, gilt das eben nicht als echtes Multitasking.

Gut zu wissen: Eine Studie von David L. Strayer und Jason M. Watson bewies, dass etwa 2 Prozent  aller Menschen doch zu echtem Multitasking in der Lage sind. Die Forscher nennen sie „Supertasker“. Sie ließen sie gleichzeitig Auto fahren, telefonieren und immer anspruchsvollere Matheaufgaben lösen. WĂ€hrend der Großteil der Studienteilnehmer eher frĂŒher als spĂ€ter einen Unfall baute (keine Sorge, der Test fand in einem Fahrsimulator statt!), bewĂ€ltigten die Supertasker alle Aufgaben mit Bravour – und wurden teilweise sogar besser, je komplexer die Aufgaben sind.

Definieren wir Multitasking also ohne BerĂŒcksichtigung der AufgabenART lautet die Antwort fĂŒr die meisten von uns: Ja, wir können Multitasking. Beziehen wir die Art aber mit ein, sind sich die Experten einig: So wenig wie du an zwei Orten gleichzeitig sein kannst, kann dein Gehirn zwei komplexe Aufgaben gleichzeitig erledigen.

Mikrotasking statt Multitasking

Und was ist mit dem Anruf, den du nebenbei immer noch laufen lĂ€sst? Der hat mit Multitasking schon gar nichts zu tun. Den vergisst du ja zwischendurch beinahe. Ein Zeichen dafĂŒr ist der kurze Schreckmoment, wenn sich dann doch plötzlich die Arzthelferin meldet. Der Anruf ist ein Klassiker aus dem Mikrotasking. Und das ist es, was die meisten von uns tun, wenn sie glauben, Multitasking zu betreiben.

Mikrotasking bedeutet, dass du in Sekundenschnelle zwischen mehreren Aufgaben hin und her springst. So schnell, dass du das GefĂŒhl bekommst, sie gleichzeitig zu erledigen. Dein Gehirn bearbeitet aber immer nur eine zur selben Zeit – und strauchelt irgendwann, weil es sich stĂ€ndig auf die andere Aufgabe einstellen und dann schon wieder wechseln muss. Die Folge: Die Fehlerquote steigt und du fĂŒhlst dich in kĂŒrzester Zeit gestresst und erschöpft.

Mehr Fehler, mehr Stress – warum du Multitasking streichen solltest

Übrigens, auch Mikrotasking klappt einer französischen Studie zufolge nur mit maximal zwei Aufgaben gleichzeitig – und das gilt sogar fĂŒr Kleinhirn-Aufgaben. Das lohnt also eigentlich den Aufwand nicht. Zumal wir damit nicht schneller werden. Noch einmal Henning Beck gegenĂŒber dem WDR: „Zeit sparen wir nicht damit. Denn wir machen keine der TĂ€tigkeiten richtig. Das Hin- und Herspringen kostet das Hirn zu viele Ressourcen. Wir können das messen: Beim Multitasking steigen die Fehlerraten, und wir verschwenden Energie.“

Wenn du jetzt gerade unwillig die Stirn runzelst und denkst: „Bullshit, ich liebe Multi- oder meinetwegen auch Mikrotasking. Da blĂŒhe ich erst richtig auf!“, kann das durchaus sein. Es gibt Menschen, die die Abwechslung mögen und ein bisschen Stress gut finden, um zu Höchstform aufzulaufen. (Ich bin phasenweise auch so) Aber: Auch du wirst nicht leistungsfĂ€higer, wenn du viel gleichzeitig machst. Du leidest nur weniger oder gar nicht unter der Mehrfachbelastung deines Gehirns.

Multitasking oder Mikrotasking?

Das beweist auch eine Studie der UniversitĂ€t Mannheim, in der Angestellte mit BĂŒrotĂ€tigkeiten beobachtet und befragt wurden. Sie alle gaben an, Multitasking wĂ€re in ihrem Job notwendig – aber die Bewertungen fielen sehr unterschiedlich aus. So fielen 21 Nennungen in den Interviews eher positiv aus. Die Mitarbeiter gaben an, durch Multitasking schneller zu arbeiten, gleichzeitig empfanden sie das als abwechslungsreicher und fĂŒhlten sich persönlich bestĂ€tigt, wenn sie die Belastung bewĂ€ltigen konnten. Dagegen sprachen 38 Nennungen in den Interview von eher negativen Folgen: höhere Fehlerquote, Vergessen von Aufgaben, mentale Dauerbelastung, Stress, psychische und physische Belastungen und sogar negative Auswirkungen auf das Privatleben. Und auch hier bestĂ€tigten die Studienteilnehmer: Am belastendsten empfanden sie die Momente, in denen sie zwei komplexe Aufgaben gleichzeitig erledigen sollten.

Im Großen und Ganzen hat Multi- oder auch Mikrotasking jedenfalls mehr negative als positive Folgen fĂŒr die meisten Menschen:

  • Du brauchst fĂŒr die einzelnen Aufgaben mehr Zeit, weil sich dein Gehirn immer wieder neu eindenken muss.
  • Die Gefahr, Fehler zu machen, steigt, wenn deine Konzentration hĂ€ufig durch eine andere Aufgabe unterbrochen wird.
  • Der stĂ€ndige Wechsel strengt dich an, du fĂŒhlst dich schneller gestresst und erschöpft.
  • Negative Langzeitfolgen fĂŒr deine physische und psychische Gesundheit schließt die Wissenschaft zumindest nicht aus.

Grund genug also, sich nach einer anderen Methode umzusetzen, um deine volle To-Do-Liste rechtzeitig abzuarbeiten.

Wie du deine Aufgaben auch ohne Multitasking zĂŒgig effizient abarbeiten kannst

Jetzt weißt du also, dass Multitasking auch fĂŒr dich keine gute Idee ist (ehrlich, 2 % aller Menschen ist echt sehr, sehr wenig – die Wahrscheinlichkeit, dass du und ich dazu gehören, ist eher gering). Nun musst du nur deinen Kopf noch davon ĂŒberzeugen.

In den meisten FĂ€llen beginnen wir mit dem Multitasking schließlich nicht, weil es uns so viel Spaß macht, sondern:

  • weil wir zu wenig Zeit fĂŒr zu viele Aufgaben haben.
  • weil wir den Überblick verloren haben und jede Aufgabe anfangen, wenn sie uns gerade einfĂ€llt.
  • weil wir zu viele Aufgaben haben, die alle gleich wichtig und (natĂŒrlich) dringend sind.
  • weil stĂ€ndig irgendjemand angedackelt kommt mit: „Kannst du nur mal schnell
?“

Und hier kommt die gute Nachricht (hat sich also gelohnt, so lange durchzuhalten 😉): All das lĂ€sst sich mit vergleichsweise wenig Aufwand auflösen.

Du brauchst nur noch die richtigen Tools (fĂŒr dich!), um:

  1. einen Überblick ĂŒber deine Aufgaben zu bekommen (extern, nicht nur in deinem Kopf!)
  2. PrioritÀten zu setzen
  3. Grenzen zu setzen

Es gibt fĂŒr jeden dieser Punkte drölfzig Millionen Tools, die du ausprobieren kannst. Und nimm dir ruhig die Zeit zum Rumprobieren, denn jeder von uns tickt anders und was fĂŒr mich funktioniert, ist dir vielleicht super lĂ€stig. Aber zur Inspiration kommen hier meine ganz persönlichen Empfehlungen (alle findest du mit ausfĂŒhrlichen ErklĂ€rungen, wenn du oben auf die Links fĂŒr „Überblick“, „PrioritĂ€ten“ und „Grenzen“ klickst):

  1. Überblick: Bullet Journal, Listen, ALPEN-Methode, Kanban-Board
  2. PrioritÀten: Timeboxing, Pareto-Prinzip, Ivy-Lee-Methode, (Eisenhower-Matrix)
  3. Grenzen: Nein sagen, Fokuszeit, Binaural Beats, Achtsamkeit

Statt Multitasking: aufschreiben, priorisieren, in Ruhe abarbeiten

Im Prinzip lĂ€uft alles darauf hinaus, dass du ALLE Aufgaben und Verpflichtungen an einem Ort notiert hast. Das entspannt dein Gehirn, weil es weiß, dass nichts in Vergessenheit geraten kann. So steigt die Chance, dass es dich in Ruhe eine Aufgabe abarbeiten lĂ€sst, statt dich ĂŒberfallartig mittendrin aufgeregt an eine andere zu erinnern.

Danach musst du die Aufgaben, die du notiert hast, nur noch so sortieren (priorisieren), dass du jederzeit weißt, was wirklich wichtig und dringend ist – woran du also tatsĂ€chlich gleich arbeiten solltest. Hast du deine Liste einmal unter diesem Gesichtspunkt durchgesehen, sorgt das auch wieder fĂŒr Beruhigung – weil du weißt, du kannst von keiner dringenden Aufgabe mehr kalt erwischt werden.

Und zu guter Letzt brauchst du Ruhe – und zwar mehr als 5 Minuten am StĂŒck – um die Aufgaben mit der hohen Prio nun auch abzuarbeiten. Möglichst ohne Unterbrechung, weil die dein Gehirn ja wieder stresst. Wenn du Kinder (oder Kollegen) hast, hilft da nur klare Kommunikation (sieh dir meinen Quietscheenten-Tipp genauer an!). Wenn du deine eigene Ablenkung bist (Ich fĂŒhle mit dir!), helfen dir vielleicht Binaural Beats, Konzentrationsmusik, ASMR oder Ambience Videos.

Wie handhabst du das mit vollen To-Do-Listen? Team Multitasking-Chaos, Team Singletasking-Zen oder Team „Kopf in den Sand“?